Once upon a Sendeschluss

Eine beliebte Freizeitbeschäftigung war und ist auch bei uns in der Gegend das Fernsehen. Ich gehöre der ersten Generation an, die vom TV sozialisiert wurde, auch wenn sich unsere Fernseherlebnisse gegen das, was den jungen Leuten heute so geboten wird, geradezu läppisch ausnehmen. Ganze Begriffe sind aus der deutschen Sprache verschwunden, weil sich das Fernsehen verändert hat.

So traf ich beim fünfundvierzigsten Geburtstag einer guten Freundin am Büfett auf ihren sechzehnjährigen Sohn. Über Buletten und Nudelsalat glitten wir in ein Gespräch über Gerichtsshows im Fernsehen und kurz darauf versuchte ich dem Bengel das ihm völlig unbekannte Wort »Sendeschluss« zu erklären. »Was soll das heißen, Sendeschluss?« -»Naja, nachts gab es kein Fernsehen.« Der Jungspund sah mich an, als müsste mein geistiger Anlasser mal wieder durchgepustet werden. Nein, es gab keine sexy Sportclips, und keine zeigefreudige Wuchtbrumme schnauzte einen an, damit man anrief und ihr unmögliche Autonamen mit oder ohne A nannte.

Also fing ich an, dem Jungen zu erzählen, wie das früher war, in der Kreidezeit des Fernsehens, als man gerade mal drei Programme hatte, wenn überhaupt.

Früher war Fernsehen, wenn ein älterer Herr mit einer dicken Hornbrille »Nein« sagte und dann fünf Mark in ein Schwein steckte. Heute ist Fernsehen, wenn schon nachmittags um drei eine Vier-Tonnen-Matrone in Leopardenleggings bekennt: »Ich hatte Sex mit meinem Kanarienvogel! Jetzt finde ich ihn nicht mehr wieder!«

Damals, als die Telefone noch orange waren und die Waschbecken im Badezimmer dunkelgrün, gab es noch Fernsehen mit Gewissen: »Dalli Dalli«, donnerstags neunzehndreißig. Richtige Prominente wie Claus Wilcke alias Percy Stewart und Wolfgang Völz, der Butler von Graf Yoster, mussten in fünfzehn Sekunden sagen, was ihnen zum Thema »Topfpflanzen« einfiel. Mady Riehl sagte dann streng, aber charmant, sie müsse einmal »Blumenerde« streichen. Und Brigitte Xander sagte dann noch, was das alles in Schilling machte.

Bei »Dalli-Klick« wurde hysterisch in den Apparat gebrüllt, weil man schon beim ersten Ausschnitt wusste, dass auf dem Bild nur das »Medium Terzett« sein konnte. Dazu spielte das Jochen Brauer Sextett. Oder Heinrich Riethmüller, der auch die deutsche Musik für das »Dschungelbuch« gemacht hatte. Am Ende wurde das erspielte Geld einer Familie mit vierzehn Kindern vermacht, deren Vater bei einem Arbeitsunfall beide Beine verloren hatte. Dann sahen meine Mutter und ich meinen Vater so ganz komisch von der Seite an, aber der schüttelte nur den Kopf.

Sonntags lief eine meiner Lieblingsserien: »Bonanza« - toll. Ich wollte auch immer durch eine brennende Landkarte reiten, was mir später in der Schule einmal ziemlichen Ärger bereitete. Überhaupt die Cartwrights: die erste generationenübergreifende Männer-WG. Zwanzig Jahre, fast fünfhundert Folgen - und immer hatten sie die gleichen Klamotten an. Und die gingen nie aufs Klo. Und hatten nie etwas mit Frauen, waren aber immer auf der Ostweide. Damals gab es noch glückliche Kühe. Dwight Eisenhower sagte mal, als er schon nicht mehr Präsident war: »Die Cartwrights sind in Ordnung, die schießen nur von vorn!«

Western stecken bis heute tief in mir drin. Auf Partys setze ich mich bei Polonaisen gern an die Spitze, nur um einmal ungestraft ausrufen zu können: »Mir nach, Männer!«

Der eigentliche Fernsehgroßkampftag war aber der Samstag. Am frühen Abend lief eine Serie, die meines Wissens bis heute skandalöserweise nie wiederholt worden ist: »Das Haus am Eaton Place«. Hier stimmten noch die sozialen Zuordnungen, oben die Bellamys, unten die Hudsons und die Rubys. Ich galt eine Zeit lang als pervers, weil ich ein wenig in Rose verknallt war. Naja, immer noch besser als in Mrs. Bridges.

Kurz darauf kam die Sendung, die meine Generation bis ins Mark kulturell und ästhetisch versaut hat. Nein, nicht die »Hitparade«, obwohl das nah dran ist, sondern »Disco«. Hallofreundehalloiljalichtaus WRRROMM!spotan.

In der »Disco« konnte man diametral einander gegenüberliegende Eckpunkte populären musikalischen Schaffens bewundern. Es gibt zum Beispiel eine Sendung, in der tatsächlich Deep Purple auftraten, und zwar in der legendären »Mach-II«-Besetzung, also mit Ian Gillan, Ritchie Blackmore, Jon Lord, Roger Glover und Ian Paice. Die rückten an mit Haaren bis zu den Knien und Sonnenbrillen, die vor den Augen festgewachsen waren, und spielten »Smoke on the Water« oder »Highway Star«, gingen dann in die Garderobe und trafen da auf - Gaby Baginski! GABY BAGINSKI! Mit Deep Purple in einer Sendung!

Klammer auf: Überhaupt die Namen im Showbizz damals! Heute könnte man als »Gaby Baginski« nicht mal mehr einen Tisch im Restaurant reservieren. Und wahrscheinlich war das noch ein Künstlername. Da erhebt sich doch wohl die Frage, wie man real heißen muss, wenn man sich »Gaby Baginski« als Künstlernamen wählt. Oder Siw Inger! Siw! Wie sich das anhört! Na gut, die war Schwedin, aber »Siw« kann doch auch auf Schwedisch nichts Gesundes heißen! Klammer zu.

Um viertel nach acht dann wirklich große Unterhaltung: »Am laufenden Band«, mit der einzigen männlichen Assistentin im deutschen Fernsehen: Heinz Eckner. In dieser Sendung wurden Spiele knapp über Vorschulniveau absolviert und am Ende saß jemand vor dem titelgebenden laufenden Band und musste sich Sachpreise einprägen, die darauf angefahren kamen. Alles, was man sich merken und später aufsagen konnte, durfte man dann mitnehmen. Die Kaffeemaschine, den Heimtrainer, das Waffeleisen. Und wenn der Kandidat oder die Kandidatin die Preise aufzählte, lag die halbe Familie hysterisch zuckend vor dem Fernseher und schrie: »DAS FRAGEZEICHEN! DAS FRAGEZEICHEN! WAS WILL DIE DENN MIT DEM GLOBUS? DAS FRAGEZEICHEN!« Hinter dem Fragezeichen steckte immer ein Überraschungspreis, und das war natürlich irrsinnig spannend.

Und dann die Werbung! Wenn ein Haufen Leute in weißen Klamotten sich auf Heimtrainern abstrampelten, ohne zu schwitzen, dann wusste man fürs Leben: Banner bannt Körpergeruch. Männer waren immer im Einsatz. Zur Not liefen sie sich ein Loch in den Schuh, nur um an die Zigarette ihrer Wahl zu kommen.

Frauen dagegen hatten echt Probleme. Wenn sie zum Beispiel den falschen Kaffee kochten, dann stand der Mann enttäuscht vom Frühstückstisch auf und murmelte: »Der Kaffee schmeckt mir nicht, ich trinke den im Büro!« Helfen konnte hier allein die Krönung - wunderbar. Denn: »Mühe allein genügt nicht!«

Hart umkämpft war damals der Waschmittelsektor. Männer in Anzügen zogen durch deutsche Supermärkte und hielten vermeintlich unschuldigen Hausfrauen riesige, phallus-artige Mikrofone unter die Nase, damit sie sich zum richtigen Pulver bekannten, Omo oder Dash? »Fakt« warb mit einer geballten Faust. Später wurde ein Politmagazin beim Mitteldeutschen Rundfunk danach benannt.

Gesellschaftliche Ächtung und familiäre Isolierung drohte Frauen auch, wenn sie den falschen Weichspüler benutzten. Und die Angst machte die Frauen paranoid. Ständig standen sie hinter der Tür und belauschten die Gespräche ihrer Lieben, und wenn sich mal jemand in seinen Sachen nicht »behaglich« fühlte, dann wuchs sich die Paranoia zu einer echten Verhaltensstörung aus: Die Frau stand plötzlich neben sich, nur etwas durchsichtig, und das durchsichtige Ich sagte zum verwirrten Ich: »Nicht jeder Weichspüler ist genau gleich. Nimm lieber Lenor!« Puh, wäre Muttern nicht so bekloppt, dass sie mit ihrem eigenen Spiegelbild sprach, hätte das richtig ernst werden können.

Ich habe das alles geglaubt, damals. Ich dachte, wenn man die richtigen Schuhe anzieht, sieht man zwar aus wie ein schwarzer Lurch mit gelben Punkten, besteht aber dafür jedes Abenteuer bravourös. Man muss am Ende nur brüllen: »Salamander lebe hoch!«

Ich dachte auch, wenn man Apfel-Shampoo benutzt, wachsen einem irgendwann Äpfel auf dem Kopf, wie der Frau im Fernsehen. Allerdings glaubte ich auch immer, Mars mache tatsächlich mobil. Ich verschlang vor dem Sportunterricht fünf Mars und wunderte mich, dass ich nicht über die Hürden kam.

Später warteten dann die großen Enttäuschungen: Strahlerküsse schmeckten nicht besser als die von Colgate, und trotz Blendamed konnte es immer noch zu Blutspuren am Apfel kommen. Schlehenfeuer machte genauso besoffen wie hundsgemeiner Doppelkorn, und auch Kosakenkaffee ließ einen kein Leben voller Abenteuer auf dem Rücken feuriger Rappen führen, während im Hintergrund hektische Musik lief. Und von wegen: Mit Tosca kommt die Zärtlichkeit! Höllisch gebrannt hat das!

Der sechzehnjährige Sohn meiner fünfundvierzigjährigen Bekannten sah mich mittlerweile an, als würde er mich am liebsten im Rollstuhl in ein stilles Zimmer schieben, damit ich stundenlang aus dem Fenster starren konnte. Ich gebe zu, ich kam mir ein bisschen vor wie Oppa, der vom Krieg erzählte. Ich nahm mir noch eine Frikadelle und sagte, mit einem Wort wie »Testbild« müsse ich ihm gar nicht mehr kommen, aber als ich mich wieder umdrehte, hatte der Bengel mich einfach stehen lassen. Eine fremde Frau ungefähr in meinem Alter starrte mich an, weil sie dachte, ich rede mit mir selbst.

»Sie werden es nicht glauben«, sagte ich, »aber wenn man früher lange genug wartete, dann gab es sogar Schnee im Fernseher!«

Über ihr Gesicht glitt ein Lächeln, das ebenso von innigem Verstehen kündete wie von tiefem Mitleid.

 

Radio Heimat
titlepage.xhtml
jacket.xhtml
Radio Heimat_split_000.html
Radio Heimat_split_001.html
Radio Heimat_split_002.html
Radio Heimat_split_003.html
Radio Heimat_split_004.html
Radio Heimat_split_005.html
Radio Heimat_split_006.html
Radio Heimat_split_007.html
Radio Heimat_split_008.html
Radio Heimat_split_009.html
Radio Heimat_split_010.html
Radio Heimat_split_011.html
Radio Heimat_split_012.html
Radio Heimat_split_013.html
Radio Heimat_split_014.html
Radio Heimat_split_015.html
Radio Heimat_split_016.html
Radio Heimat_split_017.html
Radio Heimat_split_018.html
Radio Heimat_split_019.html
Radio Heimat_split_020.html
Radio Heimat_split_021.html
Radio Heimat_split_022.html
Radio Heimat_split_023.html
Radio Heimat_split_024.html
Radio Heimat_split_025.html
Radio Heimat_split_026.html
Radio Heimat_split_027.html
Radio Heimat_split_028.html
Radio Heimat_split_029.html
Radio Heimat_split_030.html
Radio Heimat_split_031.html
Radio Heimat_split_032.html
Radio Heimat_split_033.html
Radio Heimat_split_034.html
Radio Heimat_split_035.html
Radio Heimat_split_036.html
Radio Heimat_split_037.html
Radio Heimat_split_038.html
Radio Heimat_split_039.html
Radio Heimat_split_040.html
Radio Heimat_split_041.html
Radio Heimat_split_042.html
Radio Heimat_split_043.html
Radio Heimat_split_044.html
Radio Heimat_split_045.html
Radio Heimat_split_046.html
Radio Heimat_split_047.html
Radio Heimat_split_048.html
Radio Heimat_split_049.html
Radio Heimat_split_050.html
Radio Heimat_split_051.html
Radio Heimat_split_052.html
Radio Heimat_split_053.html